Liebe Carolin, es ist
nun schon ein Jahr her, dass Du gewaltsam von uns gerissen wurdest. Du fehlst
uns riesig! Die Zeit spielt dabei gar keine Rolle mehr. Den Schmerz werden wir sicherlich
bis zu unserem Wiedersehen behalten. Wir würden uns sehr freuen, wenn Du jede
Träne von uns spüren könntest. Dann weißt Du, dass wir Dir sehr nahe sind. Wir
haben in Büchern gelesen, dass Du nur an uns denken musst und schon bist Du bei
uns. So machen die vielen Tränen von uns auch Sinn.
Zwischenzeitlich haben
wir den Täter lebenslang hinter die Gitter gebracht. Du hast es ihm sicherlich am
15. Juli 2005 ins Gesicht gesagt, dass er uns noch kennenlernen wird. Leider
hat die Justiz in Mecklenburg-Vorpommern Dich nicht vor Deinem Schicksal
beschützen können, obwohl sie wussten, einen hochgefährlichen und
untherapierten Täter zu entlassen.
Der Landtag hat für
Dich einen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Der hat fleissig ganz viele
Juristen und Fachleute befragt. Man merkte genau, welcher Zeuge nur aus
Gefälligkeit seine Aussage machte. Es ist für uns sehr schmerzlich, dass die
regierenden Parteien ihren Justizminister im Abschlussbericht decken wollten
und der Justiz eine weisse Weste bescheinigten. Dennoch sind deutliche Stimmen
laut geworden, die die Fehler in der Justiz anprangerten.
Du musstest Dein Leben
opfern, damit man angefangen hat, in der Justiz aufzuräumen. Es soll sich schon
einiges verbessert haben. Man hat mehr Therapeuten eingestellt und das
Management im Knast ausgewechselt. Künftig müssen Staatsanwälte auch begründen,
warum sie hochgefährliche Täter entlassen und dürfen nicht nur flüchtig die Akten über den Tisch
schieben. Wir können eigentlich nur hoffen, dass die Justiz sich dieses
Desaster zu Herzen nimmt und nicht nach ein paar Monaten zurück in den alten
Trott kippt. Es ist fast ein Omen, dass „Carolina“ früher der Name des
Strafgesetzbuches war.
Am 2. Mai 2006 ist
Dein Cousin Erik (20) zu Dir gekommen. Wir wissen, dass Du Dich nun um ihn
kümmerst. Als er bei einer Gasexplosion in der Nähe von Osnabrück ums Leben
kam, fühlten wir uns in der Trauer wieder an den Anfang zurückversetzt. Bitte
grüße ihn auch ganz lieb von uns. Wir erinnern uns gerne an seine lebensfrohe Art.
Die Nachricht von Erik
erreichte uns während unserer Reha in Bad Segeberg. Wir waren dort zwei Monate,
um wieder etwas Kraft zu schöpfen. Die Bewegung und die Ruhe unter dieser
geschützten Reha-Glocke hatten uns gut getan. Wir konnten viel lesen und viele
nette Leute mit anderen traurigen Schicksalen kennenlernen.
Liebe Carolin, gemeinsam mit Deinen Freunden und den Mitschülern aus dem Gymnasium in Rövershagen haben wir eine Gedenkstelle für Dich im Wald von Gelbensande geschaffen. Es ist sehr schön geworden. Wir haben einen riesigen Feldstein und eine Bank zum Ausruhen aufgestellt, und daneben einen besonderen Baum gepflanzt, einen Ginkgo Biloba. Dein letzter Weg wurde zwischenzeitlich nach Dir in „Carolins Schneise“ benannt. Wir werden diesen Ort nun öfter besuchen und jedesmal einen Strandstein für Dich mitbringen.
Viele Menschen helfen
uns in dieser schweren Zeit. Für diese Anteilnahme sind wir sehr dankbar. Sie
denken auch an Dich und besuchen Dich über das Internet. Wir hoffen, dass es
Dir in der jenseitigen Welt gut geht und bitten Dich, uns oft besuchen zu
kommen. Du fehlst uns so unendlich. Wir tragen Dich in unserem Herzen. Fühle
Dich geküsst und gedrückt von Deiner Mama, Deinem Papa, Deinem Bruder Martin,
Deinem Freund Maxe und natürlich dem lieben Kater Otto. Wir sollen Dich natürlich
auch von allen Freunden, Mitschülern, Bekannten und Verwandten grüßen.